01.07.21

Interview mit Dr. Auerbach – LegalTech: Eine entscheidende Investition in die Zukunftschancen unseres Berufsstandes

Interview mit Dr. Patrick Auerbach (BMH BRÄUTIGAM) und Insa Janßen (Legal OS)

Insa: Patrick, du als führender Name in der Venture Capital Szene, was sollte man über Dich und deine Kanzlei auf jeden Fall wissen?

Patrick: Ich bin Partner in der Berliner Transaktionsboutique BMH BRÄUTIGAM, die ich seit Kanzleigründung 2007 mit aufgebaut habe. Anfangs als Anwalt im Bereich Private Equity und im Grundstücksrecht, kurz darauf – mit der Ernennung zum Gesellschafter – habe ich dann begonnen, die Venture Capital Praxis der Kanzlei aufzubauen. Mittlerweile gehört unser 10-köpfiges Venture Capital Team zu den renommiertesten VC Praxen Deutschlands. Das Besondere an BMH sind vor allem die Menschen – wir legen einen starken Fokus auf die Auswahl der „richtigen“ BMH´ler und suchen vor allem nach interessanten Charakteren, die nicht nur fachliche Exzellenz mitbringen, sondern vor allem menschlich zu uns passen.

Insa: Wann bist du das erste Mal mit der Automatisierung von juristischen Inhalten in Kontakt gekommen?

Patrick: Im Jahr 2008, also bereits relativ früh in meiner Karriere. Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch im Grundstücksrecht gearbeitet und Miethauskaufverträge wie am Fließband bearbeitet. Basis war schon damals eine große Sammlung verschiedener Textbausteine, die zunächst zusammengebaut und schließlich in mühevoller Kleinstarbeit in Bezug auf das Geschlecht oder den Numerus angepasst werden mussten. Diese stupide Arbeit ging mir irgendwann so auf den Keks, dass ich angefangen habe, diesen Prozess mit Visual Basic soweit zu automatisieren, dass es zumindest möglich war, mit wenigen Klicks die relevanten Textbausteine auszuwählen und an die entsprechende Stelle im Vertrag einzufügen. Die anschließende Überarbeitung musste jedoch weiterhin händisch erfolgen. Als mein Chef das Tool dann einmal während meines Urlaubs über die Ersterstellung hinaus auch für die Überarbeitung eines Dokuments nutzen wollte, hat es ihm quasi den halben Vertrag zerschossen. Seit dem war das Thema Automatisierung erst einmal verbrannt und die Nutzung von Visual Basic zur Vertragserstellung untersagt (lacht).

Insa: Das ist eine sehr nachvollziehbare Intermission in der Automatisierung. Wie ging es danach weiter und seit wann wendet ihr LegalTech tatsächlich an?

Patrick: Danach hat das Thema LegalTech ungefähr 10 Jahre pausiert. Die Idee von automatisierten Verträgen und dem damit einhergehenden Potenzial für unsere anwaltliche Arbeit hat mich jedoch nie losgelassen – bis wir uns in 2018 schließlich dafür entschieden haben, ein neues Notarprogramm anzuschaffen. Im Grunde eine sehr bedienungsunfreundliche 90er-Jahre Software - sperrig und schwer zugänglich. Allerdings mit der Möglichkeit individualisierter Datenabfragen, welche mittels Programmiercode in Word übertragen werden können. Ganz praktisch gesprochen, war es also möglich, an jeder beliebigen Stelle eines Word-Dokuments über einen kleinen Programmiercode Daten zu verarbeiten und vordefinierte Textbausteine einzufügen. Als mir klar wurde, welch unglaublich verstecktes Potenzial die Software bietet, habe ich mich buchstäblich für drei Monate eingeschlossen und sämtliche Sacharbeit vorübergehend abgegeben. Dank unseres besonderen und vor allem teamübergreifenden Kanzleizusammenhalts, hat das wunderbar funktioniert und herausgekommen ist schließlich ein ganz ansehnliches Set an automatisierten Dokumenten.

Insa: Welche Anforderungen stellt deiner Meinung nach juristische Arbeit, beziehungsweise der Rechtsmarkt, an technische Lösungen?

Patrick: Das ist ganz unterschiedlich, je nachdem was man versucht mit Technik zu erreichen. Man kann versuchen, große Datenmengen schnell und präzise zu analysieren, juristische Rechtsfragen mehr oder weniger automatisiert zu prüfen oder die Dokumentenerstellung zu automatisieren. Das ist auch der Bereich, mit dem wir uns momentan im Wesentlichen beschäftigen – die Automatisierung unserer kompliziertesten Dokumente und zusammenhängenden Dokumentensets aus dem Transaktionsgeschäft. Hierfür ist es für LegalTech Tools vor allem wichtig, mit Logikstrukturen umgehen zu können, die bereits bei einfachen Dokumenten schnell kompliziert und verästelt werden.

Insa: Welche Bereiche bieten sich deiner Meinung nach für eine Automatisierung am besten an und welche vielleicht gar nicht?

Patrick: Für mich sind es vor allem die repetitiven Tätigkeiten, die ich täglich ausübe und über die ich mich dann ärgere, weil es meine effektive Arbeitszeit schluckt. Wenn ich Fälle habe, die in meiner Praxis am laufenden Band vorkommen, dann sollte ich über die Automatisierung von entsprechenden Vertragsmustern nachdenken. Daneben haben sog. „Datenschlachten“ großes Potenzial für eine Automatisierung, also überall wo ich eine große Menge an Daten habe, die ich verarbeiten muss, lohnt sich der Einsatz von LegalTech. Ein Beispiel aus der Venture Capital Praxis: Regelmäßig haben wir es mit Gesellschaften zu tun, die 40 oder mehr Gesellschafter haben. Das heißt, dass von allen Gesellschaftern die dazugehörigen Daten inklusive der gehaltenen Anteile erfasst werden müssen. Die Anzahl und die Klasse der Anteile sind dann jeweils noch verbunden mit einem Nummernpaket. Diese riesigen Datenmengen müssen bisher händisch verarbeitet werden. Das kann mitunter bis zu 30 Stunden in Anspruch nehmen. Mit einem LegalTech Tool schafft man diese Arbeit in maximal 5 Stunden.

Insa: Wir hören oft, dass nur sehr simple, repetitive Entscheidungen und Prozesse, wie Legal Intake, Checklisten und E-Mail-Verschicken mit LegalTech automatisiert werden können. Wie sieht es deiner Meinung nach mit der Automatisierung kernjuristischer Arbeit aus?

Patrick: Das Erstellen von Dokumenten und insbesondere Transaktionsdokumenten setzt hervorragende juristische Expertise und Erfahrung im Transaktionsgeschäft voraus, die bei der praxistauglichen Automatisierung gleichermaßen eine entscheidende Rolle spielen. Wenn ein Associate bei uns früher ein Dokument händisch erstellt hat, musste er sich intensiv mit jeder seiner Entscheidungen befassen und hat im Zweifel eine erfahrenere Anwält:in oder Partner:in dazu befragt. Wenn ich ihm nun einen Vertragsgenerator an die Hand gebe, durch den er sich „nur“ durchklicken muss, dann muss ich sicherstellen, dass er trotzdem eine intensive Ausbildung bekommt. Das ist entscheidend für die Qualität des Endprodukts und letztendlich auch der Anwält:innen selbst. Die Erläuterungen und das notwendige Wissen müssen also in diesen Vertragsgenerator einfließen und dort auch dauerhaft verfügbar sein.

Insa: Ihr verwendet Legal OS jetzt auch in Livedeals, kannst du uns den konkreten Use-Case erklären?

Patrick: Einer der ersten Deals, bei dem wir Legal OS richtig eingesetzt haben, war eine frühphasige und für dieses Stadium ungewöhnlich komplexe Finanzierungsrunde für einen im Markt bekannten Investor. Für uns daher prädestiniert unser Tool das erste Mal unter realen Bedingungen einzusetzen. Mit der gegnerischen Kanzlei, ebenfalls eine renommierte VC Kanzlei, haben wir uns quasi um den Erstentwurf „geprügelt“ (lacht). Schlussendlich haben wir uns durchgesetzt und die Kollegen mit der von uns gesetzten (sportlichen!) Timeline überrascht – „Meint ihr das wirklich ernst?“ war ihre Reaktion. Binnen Stunden haben wir mit den Erstentwürfen schließlich ein derart komplexes Produkt erstellen können, für das man normalerweise mehrere Tage benötigt.

Insa: Welchen Mehrwert haben eure Mandanten und welchen Nutzen habt ihr als Kanzlei?

Patrick: Der Mehrwert für die Mandanten lässt sich leicht in drei Worten beschreiben: Schnelligkeit, Präzision und Transparenz. Für die meisten Mandanten spielt gerade bei der Ersterstellung von Verträgen das Thema Geschwindigkeit eine ganz entscheidende Rolle. Mit Hilfe von Legal OS sind wir nun in der Lage, diese innerhalb von nur wenigen Stunden zu liefern. Neben der Geschwindigkeit ist es auch die Präzision, die einen entscheidenden Mehrwert mit sich bringt. Mit LegalTech ist es möglich, immer wieder das gleiche Ergebnis zu reproduzieren und einmal entdeckte Fehler für immer auszumerzen. Gerade im Hinblick auf die im VC Bereich typischerweise sehr komplexen Zahlen und Berechnungen spielt das eine entscheidende Rolle. Mit der Zeit können wir so die Qualität unserer Produkte nachhaltig steigern. Der dritte Aspekt ist die Transparenz bei der Preisgestaltung.

Wir können bereits jetzt alle automatisierten Tätigkeiten vorab fest bepreisen, sodass wir zukünftig Schritt für Schritt in Richtung von Fixpreisen für automatisierte Prozesse gehen. Für uns als Kanzlei und unsere Mitarbeiter sehe ich die Vorteile darin, dass sich unsere Anwälte stärker auf das Wesentliche fokussieren können. Weniger Dateneingabe, Recherche nach Vertragsklauseln, Copy-Paste sowie Anpassungen in Numerus und Geschlecht – dafür mehr Zeit, um die entscheidenden wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen eines Falls zu prüfen. Kurzum, mehr Fokus auf die spannenden, kernjuristischen Teile der Arbeit. Ich glaube zudem, dass es in Zukunft eine wichtige Fähigkeit für Anwält:innen sein wird, mit LegalTech umgehen zu können. Das betrifft sowohl die Anwendung, als auch das Erstellen (kleiner) LegalTech Tools. Wir als Kanzlei wollen uns in diesem Bereich als Early Mover positionieren und unseren Anwält:innen mit der Ausbildung zum Legal Engineer die Möglichkeit geben, das Handwerkszeug für die Zukunft zu erlernen. Die aktuellen Entwicklungen bieten uns allen unglaubliche Chancen, das Berufsbild und auch den eigenen Karriereweg zu gestalten.

Insa: Ihr bildet jetzt auch selbst Legal Engineers aus. Was hat euch dazu motiviert und wie können Legal Engineers Teams bereichern?

Patrick: Wir setzen LegalTech in immer mehr Bereichen ein – angefangen mit der Automatisierung unseres Notariatsgeschäfts, arbeiten wir nun auch an den passenden Lösungen für den anwaltlichen Bereich. Um nachhaltig von den Früchten unserer Arbeit im Bereich LegalTech profitieren zu können, reicht es nicht, ein Projekt erfolgreich zu stemmen. Es braucht Menschen, die sich kontinuierlich mit der Weiterentwicklung, Pflege und Anpassung der Programme an die aktuelle Rechtsprechung oder Gesetzgebung beschäftigen. Da liegt es nahe, diese Kompetenz inhouse in Form von Legal Engineers auszubilden.

Insa: Welche Fähigkeiten sollte man deiner Meinung nach mitbringen, um Legal Engineer zu werden?

Patrick: Legal Engineering hat zwei wesentliche Komponenten. Zum einen die Kompetenz, ein entsprechendes Tool unter Berücksichtigung von geltendem Recht oder rechtlichen Anforderungen zu entwickeln. Dafür sind meiner Ansicht nach nur Anwält:innen geeignet und unser Berufsstand wird sich in diesem Bereich fortbilden müssen. Zum anderen die Umsetzung juristischer Logikstrukturen in einem Programm, sei es mittels Code oder in einer No-Code Umgebung. Hier gibt es zwei Wege: je nach Bedarf über externe Dienstleister, wenn die Anweisungen genau genug sind oder über den Aufbau von Inhouse Kompetenzen. Aktuell bilden wir in einem Pilotprojekt unseren Wirtschaftsjuristen zum Legal Engineer aus! Zukünftig wird dies auch ein entscheidender Teil unserer anwaltlichen Ausbildung sein.

Insa: Wie sehen eure nächsten Schritte aus?

Patrick: Aktuell arbeiten wir daran, die gesamte Transaktionsdokumentation für eine Finanzierungsrunde mit Legal OS zu automatisieren. Wenn wir das erfolgreich auf die Straße gebracht haben, werden wir anfangen, das auf weitere Dokumente, sowohl im Venture Capital Bereich, also auch in den anderen Bereichen unserer Kanzlei, auszurollen.

Insa: Wie wollt ihr euch als Kanzlei im Bereich LegalTech zukünftig positionieren, was ist eure Vision?

Patrick: Aus meiner Sicht bietet uns LegalTech neben der Automatisierung von vorhandenen Serviceleistungen noch eine Reihe ungeahnter Möglichkeiten und Chancen, um unseren Mandanten einen noch besseren Service bieten zu können. Wir wollen uns als Kanzlei in diesem Bereich als Early Mover positionieren und ich kann mir viele Prozesse vorstellen, in denen LegalTech zukünftig eine wichtige Rolle spielen wird. Wir arbeiten im Venture Capital mit vielen Zahlen und blicken häufig auf bestimmte Mehrheiten in unterschiedlichen Anteilsklassen – anstelle der typischen Spickzettelrechnung bietet sich hier eine visuelle Darstellung mit einem Kuchendiagramm oder ähnlichem wunderbar an. Die Erstellung von Key Summaries nach Abschluss einer Transaktion wäre ebenfalls sehr interessant. Denn ist eine Transaktion einmal abgeschlossen, haben die Mandanten trotz der Praxisrelevanz meist keine Lust mehr, sich die langen Verträge noch einmal anzuschauen. Eine Menge Potenzial sehe ich außerdem im Bereich der Datenverarbeitung. Momentan müssen die Daten meist noch in vielen, unterschiedlichen Programmen händisch erfasst werden, bevor sie schließlich in den Vertragsdokumenten zusammengeführt werden können. Das ist sehr zeitaufwendig und fehleranfällig und birgt ein riesiges Optimierungspotenzial.

Insa: Wie wird sich aus deiner Sicht das Berufsbild von Anwält:innen verändern?

Patrick: Das ist eine spannende Frage. Ich erlebe schon eine ganze Weile einen sehr rasanten, technischen Fortschritt. Als ich meine Ausbildung begonnen habe, haben wir noch mit Blackberrys gearbeitet und es gab sogar Anwälte in der Kanzlei, die noch nicht einmal einen Computer hatten. Stattdessen brachte man mir bei, ein Banddiktiergerät zu benutzen: „Sonst bist du kein richtiger Anwalt!“. Und brauchte ich mal ein neues Vertragsmuster, führte mich der Weg unweigerlich in die Bibliothek. Gott sei Dank hat sich seitdem so einiges geändert, ohne dass sich der Kern der anwaltlichen Tätigkeit dramatisch gewandelt hat. Neue Tools werden sich demnach ganz natürlich in die alltägliche Arbeit und auch die Ausbildung junger Anwält:innen integrieren, sie werden sich wesentlich häufiger selbst ein Tech Tool basteln und ganz selbstverständlich mit den am Markt verfügbaren Möglichkeiten arbeiten.

Insa: Patrick, unsere letzte Frage an Dich: Was glaubst Du, welche Herausforderungen stellen diese neuen Möglichkeiten an Kanzleien und Anwält:innen in der Zukunft?

Patrick: Ganz klar, die geforderten Techkompetenzen innerhalb einer Kanzlei (neu) aufzubauen. Die Realität ist doch bisher so: Die Währung eines Anwalts ist seine Zeit, die er durch Arbeit am Mandat in Geld umsetzt. Jede Stunde, die nun von der reinen Mandatsarbeit abgeknapst wird, wird entsprechend kritisch beäugt. Ich glaube aber, dass es für Kanzleien absolut wesentlich ist, zu erkennen, dass sie zeitliche Ressourcen aber auch Geld in diese Themen investieren müssen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Ja, in kleinen und mittelständischen Kanzleien sind Use-Cases nicht ganz so leicht erkennbar und führen nicht so unmittelbar zu einem wirtschaftlichen Ausgleich, wie vielleicht bei einer Großkanzlei, aber es ist in jedem Fall auch eine entscheidende Investition in die Zukunftschancen unseres Berufsstandes.